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Die Wiener Straße 15 in Wolkersdorf ist die Adresse des sog. „Anzengruberhofs“. Früher ein Gasthaus, wird seit rund 15 Jahren damit eine Wohnhausanlage bezeichnet. Darin verbirgt sich aber auch
ein denkmalgeschütztes Juwel.
Ehe der heutige Anzengruberhof vielen Menschen ihre Wohnung geworden ist, stand an diesem Ort ein Gasthaus mit unterschiedlichen Betreibern und Namen. Ein kurzer Ausflug in die Geschichte zeigt
die Bedeutung des ehemaligen, riesigen Einkehrgasthofs an der Hauptverbindung von Wien nach Brünn.
Im Gasthof „Zum goldenen Strauß“ wurde 1783 ein repräsentativer Raum als Teil des Einkehrgasthofes erbaut. 1814 trafen auf dem Weg zum Wiener Kongress Zar Alexander I. von Russland und König
Friedrich Wilhelm III. von Preußen hier zusammen. 1866 bezogen in diesem Gasthof der preußische General Von der Glotz und die preußische Landwehr Quartier bis nach Abschluss des Friedens von
Nikolsburg.
Nach Inbetriebnahme der Laaer Ostbahn 1863 entwickelte sich Wolkersdorf aber auch sukzessive zu einer „Sommerfrische“-Destination, u.a. für das Wiener Bürgertum. Beamte, Fabrikanten,
SchauspielerInnen u.v.m. – und schon in den Anfangsjahren auch KünstlerInnen. 1873 und 1874 weilte etwa der Dichter Ludwig Anzengruber (1839-1889) im Gasthof. Aus der Wiener Alservorstadt
stammend, gilt er heute als bedeutender Dramatiker des österreichischen Volksstücks in der Tradition Johann Nestroys und Ferdinand Raimunds.
In seiner Wolkersdorfer Zeit schuf er die Bauernkomödie „Der G‘wissenswurm“ und wurde u.a. von Peter Rosegger besucht. Weitere berühmte Gäste waren laut Hauschronik (die in der Sammlung
Bojanowsky nach wie vor existiert) der Hofburgtheaterdirektor Heinrich Laube, der Komponist Friedrich von Flotow, der Gründer des Technologischen Gewerbemuseums Professor Wilhelm Exner, die
Hofschauspieler Gabillon und Meixner, der Wiener Bürgermeister Cajetan Felder u.a.m.
Unter der Familie Pfaffl, die den Gasthof seit 1924 betrieb, wurde 1931/32 das Anzengruberstüberl als Gedenkstätte im anspruchsvollsten Gastraum des Gebäudes eingerichtet; mit Deckenmalereien
von Bruno Sabransky-Thalbrück, einem Freund des Hauses, ausgestattet sowie eine Gedenktafel an der Straßenfassade angebracht. Das Stüberl bildet einen zweiachsigen gewölbten Raum von 1783, der
in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Lambrien ausgestattet wurde. Die Gewölbemalereien von 1931/32 stellen ein Porträt des Dichters Ludwig Anzengruber sowie drei Szenen aus dessen Werken
dar.
Eine von der Gemeinde gestiftete Gedenktafel (die heute noch zu sehen ist) wurde enthüllt und im Saal des in „Anzengruberhof“ umbenannten Gasthauses die Bauernkomödie „Der G‘wissenswurm“
aufgeführt. Dieses Stück, das 1874 uraufgeführt wurde, gilt als das meistgespielte Lustspiel Anzengrubers.
Kurz zum Inhalt: Der reiche Bauer Grillhofer hatte einen Schlaganfall, fühlt sich dem Tode nahe, doch ihn plagt der „G‘wissenswurm“ wegen einer mysteriösen, vor 25 Jahren begangenen Sünde. Sein
Schwager hält ihm diese Sünde vor und rät ihm, zum Zeichen seiner Bußfertigkeit auf allen Besitz zu verzichten, in die Stadt zu ziehen und Messen für sein Seelenheil lesen zu lassen. Den Hof
könne er ihm, seinem armen Schwager, schenken. Die alte Sünde Grillhofers: Ein Kind mit seiner Magd, obwohl er verheiratet war. Die Bußfertigkeit rät ihm, auf den Vorschlag seines Schwagers
einzugehen. Doch dann kommen andere Erbschaftsansprüche. Doch der Verwirrung ist noch lange nicht Schluss: Viele weitere Figuren spielen Rollen in dem Stück (das durchaus in die Jetztzeit
transferiert werden könnte, Anm.). Letztlich wird aber der Erbschleicher aus dem Haus geworfen und alles war gut. – Schon während der Niederschrift bewunderte Peter Rosegger den Text und
mutmaßte, der Autor habe dreimal sieben Jahre bei einem Bauern als Altknecht gedient. Anzengrubers Stück hatte von Beginn an großen Erfolg.
Doch zurück nach Wolkersdorf: Bis zuletzt führte die Familie Pfaffl (bzw. danach Bojanowsky) das Gasthaus, ehe es Ende der 1990er Jahre geschlossen wurde. Das Anzengruberstüberl wurde nach
einigen Jahren unter Denkmalschutz gestellt und danach von der Wohnhausanlage quasi „umhüllt“. Heute dient es als Besprechungsraum. Ludwig Anzengruber ist Wolkersdorf also keineswegs
entschwunden, erinnern doch nicht nur das Anzengruberstüberl an ihn, sondern auch die Anzengruberzeile und die Anzengruberhöhe im Hochleithenwald. Dort holte er sich wohl – mit Blick auf
Wolkersdorf – Inspiration für seinen Bauernschwank. Wer wohl Vorbilder für seine Figuren waren?