Regionsjournal

Menschenbilder – Ästhet, Auge und Artefakt (Otto Semrad)

Er ist die personifizierte Zentrumsbelebung, quasi der Otto-Motor der Hauptstraße. Und nunmehr ist er auch Ehrenringträger. Der Wolkersdorfer Fotograf Otto Semrad.*

Im Dezember feierte er seinen 70. Geburtstag, seit mehreren Jahren ist er eigentlich im Ruhestand. „Eigentlich“ ist ja ein beliebtes Füllwort, das es – eigentlich – gar nicht gibt. Denn entweder ist jemand im Ruhestand oder nicht. Otto Semrad ist es nicht.

Wie ein Wirbelwind fegt er seit Jahrzehnten durch die Straße. Er fegt und pflegt sie. Vor allem „seine“ Straße, die Hauptstraße. Otto Semrad prägte während seiner beruflich aktiven Zeit und nun auch im Ruhestand das Bild von Wolkersdorf in seiner einzigartigen und weit über die Stadt hinaus bekannten künstlerischen, manchmal durchaus sehr humoristischen Art und Weise. Das Zentrum von Wolkersdorf wäre ohne ihn nicht das, was es heute ist, wie es sich darstellt und wie es pulsiert und lebt. Seine langjährige führende Tätigkeit im Stadtmarketingverein, sein immerwährender Antrieb, Fahnenschmuck anzubringen, Lavendelfeste zu veranstalten, seine Geschäftskollegen in der Hauptstraße zu motivieren, seit jeher bei allen Vereinen und Aktivitäten zur Belebung der Hauptstraße und des gesamten Ortskernes dabei zu sein und vieles mehr, werden nicht nur geschätzt. Sondern die Frage lautet anders: Was wäre Wolkersdorf ohne Semrad?

Legendär seine Auftritte und Ideen bei vielen Festen der Stadt wie zum Beispiel am Faschingsdienstag in verschiedenen Verkleidungen und zu Silvester, wo er als Rauchfangkehrer durch die Straßen zieht. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Otto Semrad der kreative Motor der Hauptstraße ist, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht; ein wahrer Ästhet, was sich nicht nur an seiner Auslagengestaltung ablesen lässt, sondern im gesamten Zentrum; einer, der stets einen Blick auf und für das Schöne hat.

Geboren wurde er in Münichsthal, am 16. Dezember 1953. Und dort begann nicht nur sein Leben, sondern später auch sein Beruf. Münichsthal ist eine berühmte Marktfahrer-Gemeinde. Seine Eltern waren regelmäßig in Transdanubien, aus Kriegs- und Mangelzeiten heraus entwickelte sich eine Freundschaft mit der Familie Jeschofnig in Floridsdort. Ein alteingesessenes Foto-Atelier. Kurzum: Der Seniorchef wurde Ottos Firmgöd und schenkte ihm die erste Kamera. Der Weg war vorbereitet: Otto Semrad absolvierte seine fotografische Ausbildung im Fotostudio Jeschofnig in Wien. Nach Besuch der Meisterklasse an der „Graphischen“ in Wien eröffnete er im November 1977 sein eigenes Fotostudio mit Schwerpunkt Portraitfotografie in der Bachgasse in Wolkersdorf.

In den folgenden Jahren folgten Seminare und Workshops (seit 1978 ist das Studio auch Mitglied der europäischen Portraitvereinigung Colour Art Photo); Teilnahmen an Ausstellungen und Eigenpräsentationen; Wettbewerbe und Preise. 1992 übersiedelte er sein Studio in die Hauptstraße 27, in dem er nun seit 32 Jahren tätig ist. Das Haus war ursprünglich ab Mitte des 18. Jahrhunderts im Besitz von Landwirts-Familien, ab 1810 von vielen Generationen an Glasern, ehe es Otto Semrad Mitte der 1980er Jahre erwarb. Seit 2001 ist auch sein Sohn Andreas, der die Ausbildung ebenfalls in Wien absolvierte und 2003 die Meisterprüfung abgelegt hat, in der Firma tätig.

„In Würdigung seiner Verdienste für die wirtschaftliche und kulturelle Belebung des Ortskernes von Wolkersdorf und die jahrzehntelange fotografische Dokumentation des Lebens in Wolkersdorf“ – so die Begründung für die Verleihung des Ehrenringes der Stadtgemeinde. Eine seltene, daher umso bemerkenswertere Ehre!

Ach, er hatte und hat ja auch einen Beruf!

Er erinnert sich an die Anfänge. Heute kaum noch vorstellbar, insbesondere für die jungen Generationen, die bereits mit Digitalfotografie, Instagram und Co. aufgewachsen sind.

In den 70er Jahren, viele Bälle fanden im noch jungen Pfarrzentrum statt, fotografierte er viele Balleröffnungen und die Ballpärchen. Dann fuhr er heim nach Münichsthal, tauschte Ballkleidung gegen Arbeitsjanker und ging in die Dunkelkammer. Stundenlang entwickelte er Negative, vergrößerte Positive – um (wieder in Ballkleidung) nach der Mitternachtseinlage seine Bilder den Ballbesuchern zu offerieren.

Ja, die Zeiten haben sich insbesondere durch die Digitalisierung massiv gewandelt – auch für die Fotografen. Beinah jeder besitzt heute ein Smartphone und schießt eher zuviele als zu wenige Fotos. Oft im Glauben, dass dies auch professionellen Kriterien Genüge tut.

Was es aber immer noch braucht: Das Auge für Ästhetik, für Arrangements, mit dem Gespür für den richtigen Augenblick. Und viel technisches Know-how. Denn auch Bilder aus einer Digitalkamera werden farbkorrigiert, retuschiert etc.

Eine wahre Leidenschaft sind Requisiten mit dem Sinn für Details, Kleidung und andere historische Gegenstände. Sieht man sich im Atelier um, hat man das Gefühl, in einem Theaterfundus oder Antiquariat zu sein.

Der Sinn für das Historische begleitet Semrad auch schon von Beginn an: Er gestaltete Kalender, Dia-Shows, dokumentierte die Entwicklung der Stadt und sammelte unentwegt historische Aufnahmen. Ob Straßenszenen, Porträts, Alltagsszenerien in Landwirtschaft oder Gewerbe, Gruppenaufnahmen von Musterung, Feuerwehr oder Musikkapellen – zunächst nach klassischer Methode vergrößert, nachbearbeitet, retuschiert, gibt es heute digitale Hilfsmittel, die den Aufnahmen neues Leben einhauchen – vor allem aber der Vergessenheit entrissen werden.

Noch heute macht Otto Semrad Klassenfotos, Firmenporträts, Familienporträts, Hochzeitsreportagen u.v.m. Apropos Hochzeiten: Eine legendäre Anekdote, die sich schon vor 20 oder mehr Jahren zugetragen hat, spielte rund ums Schloss. Otto Semrad fotografierte das glückliche Paar und bat die beiden, die Ringe auf einen Stein zu legen, damit er eine Makro-Aufnahme von den Ringen machen konnte. „Bleibt´s so! Bleibt´s so!“ – so haucht er auch Metallgegenständen Leben ein. Fotograf Otto Semrad, der Magier des Bildes.

Ein Hobby ist auch sein Keller im Geburtsort Münichsthal. Dort ist jeder willkommen, der vorbeikommen mag. Auf einen entspannten Abend mit einer Plauderei und einem Achtel.

*Kaspar Semrad war der erste Semrad, der Mitte des 19. Jahrhunderts von Böhmen nach Ulrichskirchen kam. Aus dem tschechischen „Jsem rád“ („Ich bin froh“) wurde Semrad. Der Schneider hatte mehrere Kinder – die drei Söhne begründeten die drei Semrad-Linien, die heute noch bestehen. Otto Semrad gehört zur vierten Generation Semrads, die hier geboren wurden – und er hatte trotz Schicksalsschlägen immer ein Lächeln parat. Ein ansteckendes Lächeln, das im Atelier durchaus hilfreich ist. Jsem rád!

 




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